Mai 2025
Häftlingskleidung von Anton Langer (1901-1957)
1940-1945
Konzentrationslager Dachau
Städtische Museen Esslingen, Heimatarchiv Zwittau Nr. 843

Es ist Freitag, der 27. September 1940: Anton „Toni“ Langer wird im KZ Dachau bei München unter der Nummer 20076 registriert. Laut dem Effektenverzeichnis trägt er an diesem Tag außer der Kleidung am Leib nur ein Handtuch, ein Messer, eine Brieftasche, eine Uhr, einen Rasierapparat und einen Füller sowie 6,78 Reichsmark bei sich. Seine Daten werden erfasst und er erhält eine Lageruniform. Ein rotes Dreieck auf der Kleidung kennzeichnet ihn als politischen Gefangenen.
In den Unterlagen aus dem KZ Dachau wird als Einweisungsgrund „Vorbeugehaft“ genannt. Diese diente im Nationalsozialismus dazu, bestimmte Personengruppen, die dem System ein Dorn im Auge waren, planmäßig zu überwachen und „vorsorglich“ zu inhaftieren, um angeblichen zukünftigen Verbrechen vorzubeugen. Die Vorbeugehaft wurde grundsätzlich in Konzentrationslagern vollstreckt.
Langers Hose, die im Stadtmuseum verwahrt wird, ist keine übliche KZ-Hose aus blau-weißem Drillich. Stattdessen handelt es sich um eine graue Knickerbocker, die mehrfach geflickt wurde. Die Knöpfe sind ein Sammelsurium verschiedener Fabrikate. In einer Hosentasche befindet sich ein zusammengerollter Schnürsenkel. Ab spätestens 1943 wurden den Häftlingen wegen Materialmangel statt der üblichen blau-weißen Uniformen Kleidungsstücke ausgeteilt, die aus dem eingezogenen Privatbesitz von Inhaftierten stammten. Es ist wahrscheinlich, dass die Hose vor Anton Langer einem anderen Häftling gehört hat.
Anton Langer wurde 1901 im böhmischen Zásmuky geboren und lebte bis 1938 in Svitavy/Zwittau. Schon als Jugendlicher war er in der sozialistischen Arbeiterbewegung aktiv und ab 1923 Mitglied der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP). Im „Münchner Abkommen“ vom 30. September 1938 beschlossen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien die Angliederung des Sudetengebiets ans Deutsche Reich – ohne die Tschechoslowakei am Verhandlungstisch. Mit dem „Anschluss ans Reich“ begann die Verfolgung der tschechoslowakischen Sozialdemokrat:innen. Anton Langer organisierte in der Parteizentrale der DSAP in Prag mit anderen Genoss:innen den Transport von rund 3.000 Sozialdemokrat:innen ins Exil nach Frankreich, Belgien und England. Im Februar 1939 verließ auch er das Land und emigrierte über Polen nach Belgien. Seine Lebensgefährtin Emma Zekert mit den beiden Töchtern folgte ihm im Juni 1939 nach. Von dort aus sollte es weiter nach Kanada gehen, doch bevor es soweit war, marschierten deutsche Truppen im Frühjahr 1940 in Belgien ein. Gemeinsam mit anderen Exilant:innen floh die Familie nach Calais, um von dort nach England zu gelangen. Die deutschen Truppen kamen ihnen jedoch zuvor und verfrachteten sie zurück nach Deutschland. Anton Langer wurde nach Zwittau geschickt, wo er noch am folgenden Tag, dem 14. Juni 1940, von der Gestapo geholt und in ein Gefängnis in Wien gebracht wurde. Von dort wurde er im September in das KZ Dachau verlegt. Seine Lebensgefährtin und ihre Töchter hingegen blieben bis 1945 in Děčín/Tetschen, Tschechien.
Über Langers Zeit im KZ ist fast nichts bekannt; es ist eine Spurensuche zwischen den Zeilen. So vermerkt eine handschriftliche Notiz, die nach 1946 geschrieben worden sein muss, dass er seit seiner Zeit im Konzentrationslager an Angina pectoris, einer Herzerkrankung, leide. Am 29. April 1945 wurde das KZ von den Amerikanern befreit und er erlangte seine Freiheit zurück.
Im Juli 1945 traf Langer in Děčín seine Familie wieder; am 26. Juli heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin Emma. Gemeinsam gingen sie in seinen Heimatort Zwittau, wo er die örtliche Antifa-Zentrale aufbaute. Im Juni 1946 erhielt die Familie den Ausweisungsbefehl und gelangte wie viele Menschen aus Zwittau nach Esslingen. In der Hirschlandstraße 138 kamen Anton Langer und seine Frau unter. Dort betrieb er eine Schneiderwerkstatt, wurde Mitglied im Ortsverein der SPD und am 7. Dezember 1947 für die SPD in den Esslinger Gemeinderat gewählt. Zu seinen Themen zählten die Interessen der Vertriebenen, aber auch die große Wohnungsnot, die im Nachkriegs-Esslingen herrschte. Im März 1950 gründete er mit anderen SPD-Funktionären die „Baugruppe der Sozialdemokratischen Partei“, später „Baugruppe Langer“, die in der Gartenstadt 14 Wohnhäuser errichtete. 1955 übernahm er
vorübergehend den Vorsitz der SPD Esslingen. 1957 nahm sich Anton Langer das Leben. Wenige Tage zuvor hatte er darum gebeten, aufgrund von Krankheit aus dem Gemeinderat ausscheiden zu dürfen.