Objekt des Monats

September 2023

Gedenktafel anlässlich der Umbenennung der "Mettinger Brücke" in "Hanns-Martin-Schleyer-Brücke"
Eisen
13. Juni 1978

(Städtische Museen Esslingen, STME 008224)

Stark verwitterte Gedenktafel mit erhabener Beschriftung. Zu lesen ist der Name der Brücke, die Verdienste Hanns Martin Schleyers sowie die Namen der vier Begleiter, die während des Überfalls auf Schleyer von Mitgliedern der RAF erschossen wurden.
Fotografie: Michael Saile

Am 13. Juni 1978 wurde bei einem Gedenkakt die 1963 erbaute „Mettinger Brücke“ in „Hanns-Martin-Schleyer-Brücke“ umbenannt. Dabei wurde am westlichen Brückenteil diese Gedenktafel aus Eisen (80 x 80 cm) enthüllt.
Die Umbenennung der Brücke in Anwesenheit von Vertretern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie von Angehörigen Hanns Martin Schleyers und der bei seiner Entführung (5. September) in Köln durch Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) erschossenen vier Begleiter war eine Reaktion der Stadt Esslingen auf die terroristische Bedrohung der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. Entführung, Geiselhaft und Ermordung Schleyers im September und Oktober 1977 bildeten, mit der parallelen Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut und dem Selbstmord der inhaftierten Führungsgestalten der RAF, den Kulminationspunkt der seit 1968 eskalierenden terroristischen Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland.
Nach ersten Diskussionen, die im November 1977 im Ältestenrat geführt wurden, entschied der Gemeinderat der Stadt Esslingen am 8. Mai 1978 beinahe einstimmig zugunsten der Umbenennung der „Mettinger Brücke“. Das Bauwerk sei wegen seiner Nähe zu den Werksanlagen der Daimler Benz AG und wegen des Charakters "als Brückenbauwerk" ausgewählt worden, um an Schleyer zu erinnern. Schleyer, der, so Oberbürgermeister Eberhard Klapproth, "als Beispiel eines Demokraten für einen jeden von uns stand und für uns alle gestorben ist", sei zudem "mit der Stadt Esslingen am Neckar auf bleibende Weise in mehrfacher Art verbunden".
Im von Entsetzen und Bedrohung geprägten Diskurs der Jahre 1977/78 wurden in Esslingen zwar die unbestreitbaren Verdienste des 1915 geborenen Schleyer hervorgehoben, nicht aber dessen Vergangenheit als ein aktiver Unterstützer und Profiteur des nationalsozialistischen Regimes. Schleyer war Mitglied der NSDAP, Offizier (Untersturmführer) der SS, höherer Funktionär der gleichgeschalteten Studentenschaft in Heidelberg, Innsbruck und Prag und schließlich Leiter des Präsidialbüros des „Zentralverbandes der Industrie in Böhmen und Mähren“ gewesen. Neben eindeutig antisemitischen Position bezeichnete er sich selbst 1942 als "alte[n] Nationalsozialist und SS-Führer".
Aufgrund von schweren konstruktiven Beschädigungen, wurde die Hanns-Martin-Schleyer-Brücke im Januar 2021 zunächst gesperrt und anschließend weitgehend abgebrochen, um einem Neubau an derselben Stelle Platz zu machen. Der Ersatzneubau wird nach zweieinhalb Jahren Bauzeit nach den Sommerferien 2023 eingeweiht werden.
Der notwendige Neubau veranlasste die Fraktionen von Bündnis90 / Die Grünen und Die Linke, am 22. Mai 2023 gemeinsam den Antrag zu stellen, dass "die Brücke nicht weiterhin nach einer Person benannt sein [kann], deren NS-Vergangenheit mittlerweile sehr gut erforscht und öffentlich ist". Am 24. Juli 2023 hat der Gemeinderat eine entsprechende Vorlage der Verwaltung nach einer substanziellen Diskussion mit einer Mehrheit von 21 zu 16 Stimmen befürwortet und einer Benennung als "Mettinger Brücke" zugestimmt. Die im Verlauf von mehr als 40 Jahren durch Witterungsspuren deutlich gezeichnete Gedenktafel wird deshalb nicht mehr montiert werden. Sie wird in die Sammlung des Esslinger Stadtmuseums aufgenommen.
Die Frage der Benennung der Brücke spiegelt exemplarisch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und die Veränderung des Erinnerungsdiskurses wider. Schleyer gehörte zu den zahlreichen Vertretern der gesellschaftlichen Elite, die sowohl im NS-Staat systemstabilisierend agierten und den Unrechtsstaat beförderten als auch danach in der Bundesrepublik herausragende Positionen einnahmen. Sein furchtbares Schicksal als Entführungs- und Mordopfer der Terroristen ließ ihn auch zum Opfer werden. Beide Diskurse sind nachvollziehbar und legitim. Die komplexe Frage, ob Hanns Martin Schleyer unter diesen Voraussetzungen die besondere Würdigung der Benennung eines kommunalen Bauwerks nach ihm zu Teil werden soll, hat die Mehrheit des Gemeinderats verneint.


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